Affen im Gegenlicht

Donnerstag besuchen wir die Boca Mamiraua Community. Obwohl die Varzea nur 5 % der Fläche des Amazonasbeckens ausmachen, sind hier 80 % der Menschen angesiedelt. Der Fluss bringt Sediment aus den Anden mit und die Böden werden so jährlich gedüngt. Jetzt in der Flutsaison steht das Dorf unter Wasser. Die Häuser stehen auf Stelzen oder schwimmen. Wenn man sich besuchen möchte, muss man das Kanu nehmen. Auch die Tiere leben auf den Pontons, ob Schweine, Hunde oder Enten. Es gibt sogar Dörfer, die Kühe halten. Dann stehen die Kühe auch kleinen Pontons und werden mit dem schwimmenden Gras gefüttert. Wir lernen, dass es abends Strom gibt, normalerweise bis 22 Uhr, bei einem wichtigen Fußballspiel auch länger.
Nachmittags sind wir mit dem Boot unterwegs und erleben eine regelrechte „Affentour“. Wir sehen so viele Affen, dass wir auf dem Rückweg nicht mehr stoppen wenn wir Affen sehen. Mir gefallen die kleinen Totenkopfäffchen am besten. Sie springen mutig von Baum zu Baum und sind sehr gesellig. Ein weiteres Highlight ist eine Faultiermutter mit Baby, die (für ein Faultier) schnell zum Nachbarbaum wechselt. Auf dem Rückweg zur Lodge fliegt uns ein Paar roter Aras voraus.
Abends berichtete eine junge Frau über die Primatenarten im Reservat und darüber wie schwer es ist die scheuen Affenarten, wie die Uacaris, in ihrer natürlichen Umgebung zu erforschen. Das können wir gut nachvollziehen. Wir haben nicht den Anspruch perfekte Tierfotos zu machen, drücken aber trotzdem ab und zu auf den Auslöser. Dadurch, dass wir im Kanu oder im Boot sitzen, sehen wir Affen und Faultiere entweder auf grünem Grund oder gegen den hellen Himmel. Zum Glück ist unser Auge unserer Kamera weit überlegen.
Freitagmorgen stehen wir ganz früh auf. Um 5:30 Uhr sollen wir zur Sonnenaufgangstour ablegen. Außer uns ist jedoch niemand da. Wir organisieren uns aus der Küche einen Kaffee und begrüßen den Morgen auf der Terrasse. Verspätet starten wir schließlich doch noch. Wir haben nicht viel verpasst, es ist bewölkt und so war der Sonnenaufgang unspektakulär. An diesem Platz scheint es viel Fisch zu geben, denn wir sehen viele Botos, die rosa grauen Flussdelfine, und Tucuxis, die kleinen grauen Delfine.
Durch unseren frühen Start in den Tag haben wir heute besonders viel Zeit und verbringen den halben Tag auf der Terrasse. Wir sehen wie ein großer Kaiman auf der anderen Seite des Flusses ins Wasser springt und wissen spätestens jetzt weshalb wir nicht baden dürfen. Immer wieder treiben große Inseln aus dem schwimmenden Gras vorbei und Reiher streiten sich um sie.
Ich habe Zeit der Frage nach zu gehen, weshalb Faultiere überhaupt vom Baum klettern und stoße auf eine interessante Geschichte über Faultiere, Algen und Motten. Das Faultier beheimatet in seinem Fell eine eigene Algenplantage, diese Algen werden mit toten Motten „gedüngt“. Diese Motten leben ebenfalls im Faultierpelz. Die Motten legen ihre Eier in den Faultierkot, in dem dann die Larven wachsen. Das Faultier frisst bei der Fellpflege seine Algen. Es könnte also sein, dass das Faultier nicht einmal die Woche vom Baum klettert um die Toilette aufzusuchen, sondern um seine Motten zu pflegen (was aufs Gleiche hinausläuft). Da trägt so ein langsames Tier einen Garten und einen Zoo mit sich herum, um seinen Speiseplan zu vervollständigen. Einige Fragen sind allerdings noch offen, zum Beispiel was das Faultier macht, wenn es kein trockenes Land im Umkreis gibt. Diese Algen-Zusatznahrung scheint besonders für Dreifinger- Faultiere, mit denen wir es hier zu tun haben, interessant zu sein.
Dies war übrigens der einzige Tag, an dem die Internetverbindung zu mehr taugte, als zum Versenden von Textnachrichten. Vielleicht lag es auch daran, dass wir an diesem Tag die einzigen Gäste waren. Frühmorgens hatten wir uns bereits von Sheila verabschiedet, mit der wir eine schöne gemeinsame Zeit hatten, die Jaguar-Expedition war auf Katzensuche und die neuen Gäste noch nicht angekommen.

Nachmittags geht es mit dem Kanu durchs Unterholz. Heute ist etwas sonniger als bei unserer ersten Kanutour, das Spiel von Licht und Schatten ist noch schöner. Ein riesiger blauer Schmetterling kreuzt unsere Bahn und wir beobachten viele Vögel. Wir sehen die weißen Uacari-Affen mit ihren roten Gesichtern. Sie sind sehr scheu und ergreifen die Flucht sobald sie Menschen bemerken. Mit den Uacari-Affen haben wir nun alle fünf Primatenarten gesehen, die im Gebiet unserer Touren leben. Zwei davon sind hier endemisch, das heißt sie kommen nirgendwo anders vor. Das Schwarzkopftotenkopfäffchen und der weiße Uacari. Mit ihm begann die Geschichte des Mamiraua Reservats. Der brasilianische Biologe Jose Marcio Ayres sah den weißen Uacari erstmalig im Frankfurter Zoo und beschloss daraufhin, ihn in seiner brasilianischen Heimat zu erforschen. Das Gebiet war damals massiv durch Abholzung, Überfischung und Bejagung bedroht.
Am nächsten Vormittag besuchen wir eine andere kleine Gemeinde. Im Gegensatz zur ersten ist sie nicht überschwemmt. Die Caburini Community ist etwas höher gelegen und man kann sich in diesem Jahr trockenen Fußes besuchen. Der Maniok, das Hauptnahrungsmittel wird direkt am Fluss angebaut, dieser Bereich ist jetzt überschwemmt. Wir lernen wie der Maniok geerntet, geschält, gewässert, gerieben, gepresst, gesiebt und schließlich geröstet wird. Bevor wir zurück zur Lodge fahren besuchen wir die kleine Holzkirche, die wie alle anderen Gebäude auf Stelzen steht.
Nachmittags steht eine Tour zu einem besonders großen Baum auf dem Programm. Hört sich harmlos an, entpuppt sich aber als abenteuerlich. Der Zugang zu dem Baum ist durch eine „schwimmende Wiese“ versperrt. Ein großes Feld treibender Pflanzen verhindert, dass wir uns über einen kleinen Seitenarm dem Baum nähern. Unser Guide will jedoch nicht aufgeben und so schlängeln wir uns am Waldrand entlang, bleiben zwischen zwei Bäumen stecken, wechseln wieder ins Gras. Unser Guide gibt Gas und klappt den Außenborder hoch um sich einen Weg durchs Gras zu bahnen, da schrecken wir einen kleinen Kaiman auf, der sich sicher getarnt glaubte. Schließlich schaffen wir es zu dem riesigen, wirklich sehr schönen Kapokbaum. Im strömenden Regen geht es zurück. Ich erschrecke sehr als der Ast neben mir sich als gelb grüne Schlange zu erkennen gibt. In unserem Boot sind auf dieser Fahrt nicht nur sehr viele Blätter und Zweige gelandet, als wir versucht haben uns einen Weg zu bahnen, sondern auch viele Spinnen und Ameisen, die wir nun von Bord scheuchen. Als es beginnt zu gießen, versuchen die Mücken sich bei uns unterzustellen.
Der ereignisreiche Tag endet mit einem sehr interessanten Vortrag über die Delfine im Reservat. Ein Team beobachtet das ganze Jahr die Delfine, zählt und identifiziert sie. Einmal im Jahr werden die Delfine gefangen und markiert. Die Flussdelfine können im Gegensatz zu ihren marinen Verwandten und den Tucuxis rückwärts schwimmen. So sind sie sehr gut an das Leben im überfluteten Wald angepasst, sie trauen sich zwischen die Bäume in flaches Wasser. Hier am Amazonas gibt es noch Flussdelfine, am Jangtse und am Ganges sind ihre Verwandten schon fast ausgestorben. Doch auch hier wird ihr Lebensraum knapper, Dämme verhindern dass die Männchen zu anderen Flussabschnitten wandern und die Delfine werden bejagt. Ihr Fleisch wird als Köder für einen anderen, seltenen Speisefisch verwendet. Dank verschiedener Naturschutzgruppen ist der Handel mit diesem Fisch nun verboten, hoffentlich bleibt dann zukünftig auch die Delfinpopulation stabil.