Den Samstag (24. Mai) haben wir als Abfahrtstag gewählt. Beim Bäcker kaufen wir frisches Brot und investieren unser letztes Bargeld in Kaffee und Kuchen. Während wir in unserem Kaffee rühren und das quirlige Leben um uns beobachten beschließen wir die Abfahrt zu verschieben. Wir verlegen das Boot von der Marina an den Ankerplatz und gönnen uns einen gemütlichen Nachmittag. Ganz in Ruhe bereiten wir die Abfahrt vor, räumen auf und kochen.
Sonntagmorgen fühlen wir uns bereit. Bei Sonnenaufgang stehen wir auf. In der Düse zwischen São Vicente und Santo Antão weht es schon wieder und wir entschließen uns deshalb südlich um Santo Antão herumzusegeln. Vor uns liegen mindestens 1300 Meilen hart am Wind, da erscheint es uns nicht sinnvoll Crew und Boot bereits in den ersten Stunden zu quälen. Schnell geht es über den Kanal zwischen den Inseln, erst im Windschatten von Santo Antão werden wir ausgebremst. Wir motoren ein paar Meilen und nutzen die Chance den Wassermacher laufen zu lassen, kaum ist der Tank voll, ist der Wind wieder da. Das ging besser als erwartet.
Nun segeln wir auf Nordwestkurs und tatsächlich soll es tagelang so weiter gehen. Zu Beginn sind die Wellen noch recht hoch und es ist etwas ungemütlich. Am Abend des zweiten Tages nimmt der Wind etwas zu. Eine Welle läuft übers Deck, steigt über die Sprayhood und schafft es Nobbi, der im Niedergang saß, komplett zu duschen. Das gab es noch nie.
An Tag drei stellen wir fest, dass unser Schiff nicht ganz dicht ist. Am vorderen Backbordpütting und am Babystag kommt Wasser herein. Nur Tröpfenweise, trotzdem zu viel für unseren Geschmack. Wundern tun wir uns nicht, hart am Wind steht das Deck permanent unter Wasser, jede zweite Welle schafft es an Deck. Wir könnten abfallen und trockener segeln, nur leider nicht in Richtung Azoren, also genießen wir weiterhin das Waschmaschinen-Flair. Ich bastele ein Dochtsystem, damit das Wasser nicht irgendwo verschwindet sondern von Putzlappen aufgesaugt wird und wir decken unsere Matratzen im Vorschiff ab damit sie kein Salzwasser aufsaugen.
Am nächsten Tag nimmt die Wellenhöhe etwas ab und es wird langsam gemütlicher. Wir fühlen uns in der Lage Wetterdaten aufzunehmen, dabei geht unser Schleuderthermometer kaputt. Das ist besonders ärgerlich, weil Nobbi es gerade repariert hatte. Es folgt eine Reparatur mit Bordmitteln.
An meinem Geburtstag, Tag fünf der Überfahrt, habe ich Migräne und die Feierlichkeiten fallen aus. Einziges Highlight ist die Schwalbe, die durchs Boot fliegt. Nobbi setzt sie ins Cockpit und lädt sie zu einer Nacht im Schwalbennest ein, doch die fliegt davon. Noch stundenlang macht er sich Gedanken, ob sie nun die Nacht übersteht.
Am nächsten Tag geht’s mir wieder besser und wir genießen einen sonnigen schönen Segeltag. Perfekt wäre der Tag, wenn wir mit direkten Kurs auf die Azoren unterwegs wären, doch was ist schon perfekt? Wir segeln noch immer nach Nordwesten, also in Richtung Neufundland. Die Azoren liegen genau nördlich von uns. Beim Sundowner lassen wir normalerweise den Tag Revue passieren und schmieden Pläne. Heute fällt der Sundowner wehmütig und traurig aus. Wir denken an eine Freundin, die vor ein paar Tagen ihre letzte Reise angetreten hat, heute haben wir von ihrem Tod erfahren.
Wir kommen gut voran, die Etmale (gesegelte Strecke von Mittag bis Mittag) liegen bei 110 bis 120 Seemeilen und am siebten Tag (31. Mai) überfahren wir den 27. Breitengrad. Damit haben wir die Hälfte der Nord-Süd-Distanz geschafft. Wir sind auf 17 Grad Nord losgefahren und die Azoren liegen etwa auf 37 Grad Nord. Wieder ein Grund zu feiern.
Als Nobbi mittags den Blick über Deck schleifen lässt, fällt ihm auf, dass irgendetwas an Deck liegt. Ein Unterwant. Der Toggel, der Haken, mit dem es im Mast eingehakt war, ist gebrochen. Auf der Leeseite, also der windabgewandten, nicht belasteten Seite. Höchst merkwürdig und beunruhigend. So ein brechendes Want kann, bei entsprechenden Bedingungen, zum Mastverlust führen und das gehört definitiv zu den Erfahrungen, die wir nicht selber machen möchten.
Wir haben Ersatz an Bord, ganz hinten im Kleiderschrank. Zum Glück ist das Wetter heute ruhig, die Wellen eher niedrig und der Wind sehr moderat. Nobbi geht in den Mast, pfriemelt den Rest vom alten Want heraus und hängt das neue ein. Das ist schnell gemacht, deutlich länger dauert es alles wieder einzuräumen.
An den beiden folgenden Tagen sind wir sehr froh, dass wir das Want so unkompliziert tauschen konnten. Es ist windiger, der Seegang nimmt wieder zu, die Waschmaschinen-Gefühle sind zurück.
Danach folgend wieder schönere Tage mit Hefekuchen und Duschvergnügen. Das Atlantikwasser ist nun wieder so frisch, dass man kurz Luft schnappt, wenn man sich den Eimer Wasser über den Kopf gießt.
Als wir den Wetterbericht abfragen, erleben wir eine schöne Überraschung. Wir sind als Vorhersagepunkt in der App zu sehen! Marisol als Wetterschiff. Unsere gemeldeten Wetterdaten, werden also tatsächlich gleich eingespeist. Nun sind wir noch motivierten möglichst präzise Angaben zu machen.
Der Wind dreht, es schauert, es wird flau, dann kommen ein paar Böen, der Wind dreht wieder zurück. Das ist ein bisschen anstrengend, dafür wird Mari langsam sauberer. Vormittags lösen sich die Wolken meistens auf. Leider segeln wir immer noch sehr stabil nach Nordwest, könnte der Wind nicht dauerhaft drehen? Ostwind wäre super.
An Tag dreizehn sehen wir Monteiro Sturmschwalben, diese Vögel kommen nur auf den Azoren vor. Wir kommen unserem Ziel also langsam näher. Grund genug zu wenden. Nicht, dass wir an den Azoren vorbeisegeln. Es läuft besser als gedacht. Wir können nach Osten segeln, manchmal sogar nach Nordost.
Als wir am nächsten Tag mit unserem Guten-Morgen-Kaffee im Cockpit sitzen, sehen wir Orcas. Vier große Tiere ziehen vorbei. Mit Orcas ist es wie mit einem Condor, man fragt sich manchmal: war das jetzt einer? Bis man einen sieht. Die langen schwarzen Rückenflossen schließen jeden Zweifel aus. An der europäischen Atlantikküste kommt es immer wieder zu Angriffen von Orcas auf Boote, etwas was man nicht erleben möchte. Trotzdem ist es natürlich toll diese eleganten Tiere in freier Wildbahn erleben zu dürfen. Sie schwimmen eine Weile parallel, interessieren sich aber nicht für uns, dann drehen sie ab. In den nächsten Tagen dürfen wir sie noch zweimal sehen, zu nahe kommen sie uns aber nicht. Auch Delfine kommen zu Besuch, sie kommen ganz dicht ans Boot, einer legt sogar seine Nase an unser Hydrovane-Ruder. Sie schwimmen mit dem Bauch oben unterm Heck, als ob sie uns ansehen wollen und spielen dann mit der Bugwelle. Umso näher wir den Inseln kommen, umso häufiger sehen wir nun Delfine.
Nur noch 150 Meilen sind es bis Horta auf Faial, als wir an Tag 17 beschließen ein paar Meilen zu motoren und den Wassermacher laufenzulassen. Irgendwann merke ich, dass wir immer langsamer werden. Um die Geschichte abzukürzen, unser Getriebe ist wieder kaputt. Wir hatten gehofft, dass uns die Reparatur aus Südafrika bis nach Europa bringen würde, wobei wir dabei eigentlich ans europäische Festland gedacht haben, aber die Azoren gehören ja auch zu Europa.
Wir rechnen ein bisschen, welchen Hafen wir mit dem angesagten Wind erreichen können und überlegen kurz, ob wir lieber Ponta Delgada auf São Miguel anlaufen sollten. Der Wetterbericht ist eindeutig. Wir bekommen Westwind mit dem wir super bis Horta segeln können, für die etwas weitere Strecke nach Ponta Delgada reicht er nicht.
Am nächsten Morgen gewinne ich ein Ü-Ei, weil ich die Insel als Erste sehe. Genau genommen sind es zwei Inseln, Faial und Pico und so handle ich Nobbi auf zwei Ü-Eier hoch, später akzeptiere ich Schokolade als Ersatz. Viele kleine Delfine begleiten uns fast eine Stunde bei Sonnenaufgang und wir sehen zwei sehr große Wale, die leider nicht auf Fotodistanz ans Boot kommen möchten.
Der Wind meint es gut mit uns, wir können tatsächlich bis hinter die Mole segeln. Das ist hier nicht selbstverständlich, oft ist hier gar kein oder nur sehr wenig Wind. Wir hatten zuvor die Marina kontaktiert und gefragt, ob wir in den Hafen geschleppt werden können. Mit Hilfe unserer schwedischen Freunde, die für uns ins Hafenbüro gelaufen sind und nachgefragt haben, klappte es mit der Kommunikation ganz gut. Freunde von Freunden sind auf Stand-by, falls wir Hilfe brauchen. Als wir die große Hafenmole runden, können wir das Boot, das uns schleppen soll nicht entdecken. Also lassen wir den Anker fallen. Der Ankerplatz ist sehr voll, kein guter Ort, um ein bisschen hin- und her zu segeln. Schließlich klappt es doch noch, wir werden die letzten paar Meter durchs Ankerfeld an die Mole geschleppt und längsseits an einer anderen Yacht vertäut, die ebenfalls Probleme mit ihren Motor hat.
1780 Seemeilen in 18 Tagen, alles hoch am Wind – insgesamt eine gute Überfahrt. Nur am Ende war es unnötig spannend. Vor der Etappe haben wir häufig gehört, dass wir für diese Strecke sehr viel Diesel brauchen werden. Doch unsere Dieseltanks sind voll, wir brauchten nur ein paar Liter um aus dem Windschatten Santo Antãos herauszukommen und als wir gerne motort wären (die letzte Meile), wollte der Motor bzw. das Getriebe nicht.
Seit unserer Ankunft vor einer Woche (am 12. Juni) sind wir damit beschäftigt eine Reparaturmöglichkeit für unser Getriebe zu finden, Ersatzteile zu ordern, das Vorsegel zu reparieren und genießen das Hafenleben in Horta. Die kleine Stadt gefällt uns gut und die grüne Insel Faial finden wir sehr schön, auch wenn wir noch gar nicht viel gesehen haben.














