Vor gut einer Woche (Donnerstag 17. April), morgens um kurz vor acht segeln wir zum sechsten Mal über den Äquator. Auf der Seekarte sehen wir, dass wir am 18. November 2017 670 Meilen weiter westlich das erste Mal mit Marisol die Linie überquert haben. Gewissermaßen haben wir für 670 Meilen siebeneinhalb Jahre gebraucht. Allerdings haben wir einen Umweg gemacht. Vielleicht den besten Umweg den das Leben bietet.
Wir freuen uns die magische Linie zu übersegeln, bedeutet es, dass wir im Flautengürtel nach Norden vorankommen. In die Freude mischt sich jedoch eine Portion Wehmut. Werden wir jemals wieder die Südhalbkugel besegeln?
Nachdem wir Ascension verlassen haben, geht es die ersten Tage mit achterlichem Wind nach Norden. Bald werden aus den fluffigen Passatwolken hohe Wolkentürme. Schließlich setzen die ersten Schauer ein. Eine Dusche ist zunächst willkommen, werden wir doch endlich von Dreck, Staub und Salz befreit. Als das Schiff allerdings sauber ist, freuen wir uns nicht mehr ganz so sehr über den Regen. Diese Art Regen gibt es außerhalb der Tropen nicht. Plötzlich öffnet sich der Himmel, die Sichtweite sinkt auf wenige Meter und unglaubliche Mengen Wasser stürzen vom Himmel.
Dann am fünften Tag kommt uns der Wind abhanden. Früher als erhofft. Wir treiben statt zu segeln. 30 Meilen in 24 Stunden. Und, als wäre das nicht schlimm genug, haben wir davon nur sieben Meilen in Richtung der Kapverden gut gemacht. Unsere Kurslinie beschreibt eine wunderschöne Acht.
Die nächsten Tage sind mühsam. Der Wind dreht, schläft ein, nimmt mit den Schauern zu. Es regnet und gewittert. Schwarze Wolken schleichen sich an und nachts leuchtet der Himmel vom Wetterleuchten, den hohen Blitzen in den riesigen Wolkentürmen. Wir versuchen etwas zu motoren als der Wind wieder komplett ausbleibt, doch auch das ist mühsam. Unser Autopilot gibt den Geist auf und wir müssen von Hand steuern. Bald setzt ein leichter Wind ein, wir segeln und die Hydrovane steuert wieder.
Am nächsten Morgen gelingt die Reparatur des elektronischen Autopiloten, wir haben einen Antriebsriemen als Ersatzteil an Bord. Unkompliziert ist die Reparatur nicht. Eine Schraube lässt sich bitten und muss ausgebohrt werden, sonst lässt sich die Verkleidung nicht öffnen.
Es ist heiß geworden. Wir schwitzen. In einer Nacht messen wir eine Tiefsttemperatur von 30 Grad. Die einzige Abkühlung ist ein Bad im 28 Grad warmen Atlantikwasser.
Als der Wind mal wieder einschläft, würden wir gerne einige Meilen nach Norden motoren, doch wir brechen den Versuch nach kurzer Zeit ab. Die kabbelige See stoppt uns auf. Marisol ist ein Segelboot und eher untermotorisiert, außerdem etwas zu schwer. Motoren ist nicht unsere Stärke. Wir beschließen die Etappe weiter ohne Motorunterstützung zu planen. Das bedeutet erstmal die Innertropische Konvergenzzone (ITCZ), das windarme Gebiet um den Äquator (auch Kalmen, Doldrums oder Rossbreiten genannt) mit seinen Schauern und Gewittern zu verlassen, auch wenn wir dabei nicht Kurs auf die Kapverden nehmen können.
Inzwischen sind wir schon über zwei Wochen auf See. Und, wie so oft auf längeren Überfahrten, fließen die Tage ineinander. Schon wenig später weiß man nicht mehr, ob man das Schiff gestern gesehen hat, oder schon vorgestern?
Ein sehr ruppiger und anstrengender Tag lässt uns grübeln, ob wir diese Art des Reisens bis zu den Kapverdischen Inseln durchhalten können. Nachdem wir die ITCZ verlassen haben und stetiger Passat einsetzt, ist es deutlich rauer als erhofft. Es ist laut, irgendwo vibriert es, Mari knallt in die Wellen. Wir müssen uns festhalten und schlafen können wir erst, als wir völlig erschöpft sind. Doch dann lässt der Wind etwas nach, wir kommen langsamer voran, aber das Leben an Bord ist wieder schön. So segeln wir nun seit einigen Tagen. Einziger Wermutstropfen: die Richtung stimmt nicht so ganz. Segeln wir diesen Kurs immer weiter, landen wir in Neufundland. Der Wind weht stetig aus Nordost manchmal Nordnordost und der Strom schiebt uns nach Westen.
Gestern haben wir gewendet und segeln nun nach Osten. Kreuzen auf dem offenen Ozean. Unsere zu segelnde Strecke verlängert sich um einige hundert Meilen. Es soll einen äquatorialen Gegenstrom geben der, entgegen des Stroms am Äquator, nach Osten fließt. Das Wetterprogramm zeigt ihn nicht, aber wir denken, dass wir ihn gefunden haben könnten. Zumindest scheint er uns ganz leicht nach Osten zu versetzen.
Die Vorhersage meint es gut mit uns, südlich der Kapverden sollen die Bedingungen moderat bleiben, hoffen wir, dass das Wetter sich an die Vorhersage hält.
Anders als südlich der ITCZ, wo der Himmel blau und der Horizont messerscharf war, wo wir Schiffe (ihren Aufbau) selbst tagsüber auf zwölf Meilen sehen konnten, erscheint der Himmel merkwürdig schmierig und die Sicht ist ungewöhnlich schlecht. Nachdem Mari vom Regen so wunderbar sauber gewaschen worden war, wurde sie an den rauen Segeltagen mit einer dicken Salzschicht überzogen, auf die sich nun eine Schicht ganz feinen, braunen Sahara-Staubs gelegt hat und sich zu einem seifigen Matsch verbunden hat. Vor ein paar Tagen näherte sich abends eine merkwürdig aussehende Wolke. Am nächsten Morgen sahen wir die Sandschicht an Deck, auf allen Flächen, an allen Leinen, an den Antennen, auf Unter- und Oberseite des Biminis. Ein Gruß der Sahara!
Unser Frischproviant ist auf drei Süßkartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch und neun Äpfel zusammen geschmolzen. Ob wir auf den Kapverden ankommen, bevor es das morgendliche Müsli ohne Apfel geben muss?