Ascension: Vulkane, Antennen und Schildkröten

Montagmorgen gehen wir an Land. Was sich so unspektakulär anhört ist aus Seglersicht bereits eine der Attraktionen Ascensions. Je nachdem wie hoch die Wellen sind ist es interessant, sportlich oder unmöglich. Freunde hatten uns ein Foto der Pier geschickt und uns Instruktionen gegeben. Das war sehr hilfreich. Zwischen zwei großen Festmachertonnen hängt eine dicke Festmacherleine. An diese binden wir unser Schlauchboot. Dann ziehen wir das gelbe Boot zu uns heran, das mit einer Leine mit der Pier verbunden ist und mit der zweiten Leine, die auch zur Pier läuft, über eine Rolle, am Festmacher befestigt ist. Wir klettern nun ins gelbe Boot und nutzen es als Fähre. Wir ziehen uns selbst mit einer der Leinen zur Pier. Hier gibt es eine Treppe und Leinen zum Festhalten, so dass es meistens nicht schwierig ist auf die Pier zu klettern, allerdings häufig nass. Bei Hochwasser steht der Anleger unter Wasser.
Im Hafenbüro füllen wir ein paar Seiten aus, bezahlen Gebühren, bekommen eine Karte der Insel und werden zur Polizei geschickt, die die Immigration übernimmt. Für Ascension ist ein Visum nötig, das wir aus Namibia beantragt und bezahlt hatten und das, nachdem wir eine Krankenversicherung nachgewiesen hatten, bewilligt wurde. Wir können nicht nur ein- sondern auch gleich wieder ausreisen. Weil Segler oft Probleme haben an Land zu gehen, gibt es diese unkomplizierte Lösung. Wir erfahren, dass eine Einreise auch am Sonntag möglich gewesen wäre. Uns hat es nicht gestört einen Tag am Anker zu verbringen, wir haben viele kleine Dinge erledigt, Kuchen gebacken und die Weiterreise vorbereitet.

Wir sehen uns in Georgetown um. Der Ort ist klein und sehr ruhig. Wir besuchen die kleine Kirche, ein Fort und sehen uns die Schildkrötenbecken an, in denen früher die Schildkröten als Frischproviant „aufbewahrt“ wurden. Nachdem wir anschließend auf die andere Seite des Orts zum Friedhof gelaufen sind, haben wir wirklich alles gesehen.
Im Supermarkt gibt es Cherry-Tomaten. Wir essen Montagabend alle Tomaten auf, weil sie so lecker sind und wir lange keine Tomaten gegessen haben. Danach gibt es leider keine Tomaten mehr, dafür Salat! Zwei Abende nacheinander gibt es grünen Salat auf Marisol. Ein seltenes Vergnügen!

Dienstag schaffen wir es erneut an Land. Bei der Polizei fragen wir nach einem Mietwagen. Die Frau von Immigration vermietet ein Auto, wir können es gegen Mittag abholen. Wir vertreiben uns die Zeit in Georgetown. Das ist gar nicht so einfach. Der Ausblick von Fort Hayes ist schön, vorm geschlossenen Museum sitzen wir ein bisschen im Schatten und im Supermarkt kaufen wir Wasser. Auf unserer Rundfahrt fahren wir fast alle Straßen der Insel ab, die Sandpisten schaffen wir nicht alle. Auch wenn unser Allradwagen spielend damit zurechtgekommen wäre.

Ascension hat mit 88 km2 ungefähr zwei Drittel der Größe von St. Helena. Der höchste Berg ist Green Mountain mit 859 m. Damit ist die Insel etwa genauso hoch wie St. Helena, sieht aber ganz anders aus. Die vulkanische Vergangenheit Ascensions ist auf den ersten Blick sichtbar. Schwarzes Gestein, braune Krater, rote Kegel und schroffe Formationen. Green Mountain ist heute bewachsen. Der Wald auf dem größten Berg der Insel wurde im 19. Jahrhundert angepflanzt. Als die Engländer sich die Insel unter den Nagel gerissen haben, hauptsächlich damit die Franzosen sie nicht bekommen, war die Insel sehr karg. 1836 kam Charles Darwin hier vorbei und schrieb später man könne die Insel in eine grüne Oase verwandeln. Joseph Hooker, der Arzt auf der Ross Expedition in die Antarktis, war leidenschaftlicher Botaniker und überzeugte die Admiralität nach seiner Rückkehr, dass man durch Bepflanzung der Insel die Regenmenge erhöhen, Erosion vermindern und die stationierten Soldaten verpflegen könnte. Zwischen 1847 bis 1850 wurden 330 Bäume und Sträucher aus Kew Gardens, wo Hookers Vater praktischerweise Direktor war, auf die Insel gebracht. Der Erfolg stellte sich umgehend ein. In den folgenden Jahren wurden weiter viele Pflanzen eingeführt. Heute gibt es in der Inselmitte einen Wald, dessen Pflanzen von überall auf der Welt stammen und von denen im 19. Jahrhundert jemand in England glaubte sie würden sich auf Ascension wohlfühlen.
Die Straße ist sehr steil und wir müssen in den Haarnadelkurven zum Teil zurücksetzen. Belohnt wird der Weg auf den höchsten Berg mit einem tollen Ausblicken, Waldluft (eine schöne Abwechslung) und kühleren Temperaturen.
Mir gefällt es jedoch am besten am Devils Ashpit im Osten der Insel. Früher war hier ein Beobachtungszentrum der NASA. Nun ist es sehr ruhig hier oben und man hat einen schönen Blick auf die raue Küste.
Ascension hat gleich mehrere schöne goldene Strände. An Hannays Beach brechen die Wellen auf den umliegenden Felsen und es gibt „Blowholes“ durch die das Wasser in hohen Fontänen schließt. Comfortless Bay, der letzte Stopp unserer Rundfahrt, hingegen präsentiert sich sehr friedlich und lädt durchaus zum Baden ein. Um die Insel gibt es nicht nur starke Strömungen, es gibt auch ein „Hai-Problem“. Die Haie finden es vermutlich nicht problematisch. Es gibt hier viele Haie und ist zu Unfällen gekommen. Wir lernen, dass Angestellte der Regierung nicht baden dürfen.
Auf der Insel laufen Esel und Schafe herum, die man wohl irgendwann freigelassen hat. Als wir das Auto um viertel nach Vier wieder vor der Polizeiwache parken (Schlüssel steckt, Geld im Handschuhfach) ist keine Menschenseele zu sehen, nicht auf der Hauptstraße, dem zentralen Platz oder am Hafen, dafür kaut ein Schaf auf der Kreuzung an einigen Halmen.

Ascension hat keine permanenten Bewohner, alles Land gehört dem Staat und man kann keinen Grundbesitz erwerben. Das Aufenthaltsrecht ist an die Arbeitsstelle geknüpft. Wenn man sich auf der Insel umsieht, bekommt man eine Idee der großen Arbeitgeber. Ascension erinnert an ein Antennenmuseum. Hier gibt es Einrichtungen verschiedener Telekommunikationsunternehmen, der BBC, der esa und des Militärs. Angehörige der Royal Air Force wohnen in der Inselmitte in Travellers Hill, die US-Basis befindet sich am Flughafen im Süden der Insel. Der vierte Ort (mit Georgetown im Westen) ist ebenfalls in der Inselmitte und heißt Two Boats Village. Alle Orte sind sehr übersichtlich. Gemessen an den etwa 800 Bewohnern gibt es unglaublich viele Fahrzeuge, Kräne, Gabelstapler, Müllautos, Straßenkehrmaschinen, kleine LKW und sehr viele Autos.

Die Schildkröten

Als wir Sonntagmorgen, nach unserer ersten Nacht in Clarence Bay, an Deck kommen, fällt uns der äußerst unordentliche Strand auf. Das sah doch gestern noch nicht so aus! Dann entdecken wir die Schildkröten.
Long Beach, der Strand vor dem wir ankern, ist einer der Strände, an dem die Grünen Meeresschildkröten ihre Eier ablegen.
Die Grünen Meeressschildkröten (Chelonia mydas) des Südatlantiks wohnen vor der Küste Brasiliens. Weihnachten 2017 haben wir von Salvador aus ein Schildkrötenzentrum besucht und erfahren, dass die Tiere eine unglaubliche Reise durch den Südatlantik unternehmen. Nun schließt sich gewissenmaßen der Kreis und wir sind am Ziel ihrer Reise angelangt. Die Schildkröten grasen auf den Seegraswiesen entlang der endlosen Strände Bahias und kommen zur Paarung und Eiablage nach Ascension. 2200 km schwimmen sie in knapp zwei Monaten, paaren sich vor Ascension, legen hier ihre Eier ab und schwimmen dann wieder nach Brasilien. Während der gesamten Reise fressen die Tiere nicht.
30 Tage nach der Paarung, macht sich das Weibachen nachts auf den Weg an den Strand, gräbt ein tiefes Loch, legt über hundert Eier ab, bedeckt sie mit Sand und geht zurück ins Wasser. Nach einer Erholungspause kann sie sich (mehrfach!) erneut paaren und Eier ablegen. Nach 60 Tagen schlüpfen die Jungen und müssen als erstes Abenteuer ihres Lebens den weiten Weg ins Wasser bewältigen.
Auf Ascension werden etwa 25.000 Nester pro Jahr mit geschätzten drei Millionen Eiern anlegt. Aus den wenigsten Eiern werden erwachsene Schildkröten. Das Schildkrötenleben ist insbesondere am Lebensbeginn sehr gefährlich. Wenn die Schildkröten jedoch erwachsen werden, geschlechtsreif sind sie erst mit 25 Jahren, kehren sie zur Eiablage an ihren Geburtsstrand zurück.
Für das Schildkröten-Weibchen ist die Reise und mehrfache Eiablage so anstrengend, dass sie den Weg nur alle drei bis vier Jahre auf sich nimmt und sich dazwischen erholen muss.
Jeden Morgen beobachten wir bei Sonnenaufgang wie die letzten Schildkröten ins Wasser zurückkehren. An den Stränden sehen wir die großen Krater, die die Weibchen graben, und die tiefen Spuren im Sand.
Mittwochmorgen stellen wir uns den Wecker und fahren früh an Land. Nun können wir ganz aus der Nähe beobachten, wie die Schildkröten mit den Vorderflossen die Eier mit Sand bedecken und sich dann mühsam wieder ins Wasser schleppen. Der Weg durch den tiefen Sand ist ohnehin schon beschwerlich genug, wird durch die viele Krater, die die Kolleginnen gegraben haben jedoch noch anspruchsvoller. Wir können die Erleichterung regelrecht spüren, wenn das kühlende Atlantikwasser endlich über dem Panzer zusammenschlägt.
Der Morgen ist wunderschön, die Sonne geht über Long Beach auf und wir sind ganz allein am Strand (abgesehen von Schildkröten, Krabben und Fregattvögeln). Und dann sehen wir auch noch einige Schildkrötenbabys, die, frisch geschlüpft, auf dem Weg ins Wasser sind. Eigentlich sollten sie diesen gefährlichen Weg im Schutz der Dunkelheit zurücklegen, um ihre ohnehin geringen Überlebenschancen zu maximieren. Die Fregattvögel kreisen über dem Strand und warten auf ausgebuddelte Eier und Schildkrötenbabys. Nobbi hat ein weiches Herz und bewacht den Weg eines Spätkommers bis zur Wasserkante. Viel Glück, ihr kleinen Schildkröten!
Wir frühstücken am Picknickplatz bei den Schildkrötenteichen mit Blick auf den langen Strand, genießen das Gefühl einem ganz besonderen Naturschauspiel beigewohnt zu haben und gehen anschließend in das kleine Schwimmbad. Hier genießen wir eine ausgiebige Frischwasserdusche.

Der Rückweg an Bord ist etwas aufregender als uns lieb ist. Der Schwell hat zugenommen, an der Festmacherleine haben sich die Boote verknotet. Bis wir unser Schlauchboot bestiegen und befreit haben, haben wir uns einige Kratzer zugezogen und sind ordentlich ins Schwitzen gekommen. Auf der Dinghifahrt beten wir jeder still vor uns hin, dass der Motor nun nicht ins Stocken geraten möge. Die Wellen donnern neben uns auf die Steine, weißer Schaum fließt um die schwarzen Felsen. Der Rumpf des Katamarans, der neben uns ankert, verschwindet aus unserer Schlauchbootperspektive immer wieder komplett zwischen den Wellen. Schließlich kommen wir bei Mari an, klettern an Bord und ziehen sofort das Schlauchboot am Fall hoch. Geschafft. Wir sind heil wieder an Bord.
Es ist mühsam das Boot zu putzen, die Luft abzulassen, es zusammenzurollen und unterm Salontisch zu verstauen, wenn man immer aufpassen muss, dass die nächste Welle einen nicht über Bord katapultiert. Der Außenborder muss in seiner Halterung am Heck geparkt werden und angebunden werden.
Die Wellen werden immer höher und an Bord ist es ungemütlich. Nun würden wir uns nicht mehr trauen mit dem Schlauchboot zum Anleger zu fahren. Wir hatten verdammtes Glück mit unserem Timing. Als unsere Nachbarn nachmittags heil zu ihrem Boot zurückkehren, sind wir sehr erleichtert.

Heute verlassen wir Ascension. Es gäbe noch so viel zu berichten, über die tausenden von Drückerfischen unter unserem Boot (die anscheinend unseren lästigen Bewuchs gefressen haben, wir danken!), die viele Antennen auf der Insel und die kurze Geschichte der Insel. Heute haben wir keine Zeit mehr die vielen tollen Fotos auszuwählen, zu beschriften und einzustellen. Das muss warten bis wir irgendwo angekommen sind.
Die Kapverdischen Inseln liegen 1600 Meilen nördlich. Auf direkten Weg werden wir sie vermutlich nicht erreichen können. Vor uns liegen unsere sechste Äquator-Überquerung und der Weg durch den Flautengürtel. Wir sind sehr gespannt, wie wir vorankommen werden.

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