Zwischen Cocos und Rodrigues

Heute (7.10.) ist Tag 13 unserer Überfahrt. Wir segeln Schmetterling, das Groß an Steuerbord, die Fock Backbord. Einige hübsche Wölkchen verzieren den blauen Himmel. Wir sitzen im Cockpit und lesen, in der Pantry kühlt der Vanillepudding ab. Ein traumhafter Segeltag. Auch gestern war es schon so schön. Zwar hätten wir ein wenig mehr Wind vertragen können, aber wenn es so gemütlich ist an Bord, will man sich nicht beklagen.
Es wird nicht so bleiben. Die Bewegungen der See werden langsam konfuser. Die Windsee kommt von achtern, eine lange Dünung kommt aus Süden, also von Backbord.
Auch die bisherigen Bedingungen waren, gelinde gesagt, abwechslungsreich.

Schweren Herzens gehen wir am 25. September Anker auf und verlassen die türkise Lagune von Cocos. Noch lange sehen wir die weißen Wattewolken, deren Unterseite grünlich die Lagune von Cocos Keeling reflektieren.
Die ersten zwei Tage sind wir mit moderatem Wind recht gemütlich unterwegs. Die Seebeine können langsam wachsen und wir finden in unseren Wachrythmus.
Am dritten Tag nimmt der Wind zu. Immer wieder haben wir Böen um 30 kn. Das sind sieben Bft. Vor der Nacht binden wir das zweite Reff ein und verkleinern die Fock. So sind wir die nächsten drei Tage unterwegs. Der Wind weht mit fünf bis sechs Beaufort und immer wieder haben wir siebener Böen. Es ist nicht gemütlich, aber wir sind flott unterwegs. Die Wellen werden immer höher und sind teilweise sehr konfus, dadurch ist das Leben an Bord sportlich. Jeder Handgriff will geplant werden. Lässt man seine Müslischale los, ist sie weg. 
Am siebten Tag haben wir durchgehend mindestens sechs Beaufort, die Böen erreichen acht Windstärken. Der Wind kommt südlicher und so segeln wir zwischen halben und raumem Wind. Die Böen können ihre Kraft voll entfalten. Zeit das dritte Reff einzubinden, zum ersten Mal auf dieser Reise. Der Wind heult im Rigg, die Geräusche machen Stress. Das Bimini macht Flap-Geräusche und knallt wenn eine Böen drunterfasst. Das nervt. Wir bauen es ab. Eine gute Idee, wir haben noch genauso viel Wind, aber es hört sich nicht mehr so bedrohlich an.
Die Wellenhöhe hat auf  4m zugenommen. Das heißt dazwischen gibt es auch sehr viel höhere Wellen. Überall weiße Kappen um uns herum. Der Seegang ist kein Problem, nur manchmal wird einem ein bisschen merkwürdig, wenn sich plötzlich so ein tiefes Wellental auftut. Mari stört das alles wenig, sie segelt unbeirrt immer weiter und weiter. Maris erste Besitzerin nannte ausgerechnet die Irische See ihr Heimatrevier. Ein Segelrevier, das für seine rauen Bedingungen bekannt ist. Diesem Umstand verdanken wir es, dass unser Rigg zusätzlich ein Babystag und Backstagen hat, und der Mast damit quasi besonders gut abgespannt ist. Backstagen können wirklich nerven bei diesem Wetter aber wir wissen sie jetzt zu schätzen.
Nahezu durchgehend fliegt Wasser ins Cockpit. Der untere Teil des Steckschotts sorgt dafür, dass das Wasser nicht in die Kabine kommt. Die Nachtwachen verbringen wir auf dem Fußboden sitzend. Dort kann man nicht um- oder runter fallen. Der Comfort Seat zwischen Navisitz und Pantry positioniert stellt sich als überraschend gemütlich heraus. Nur gelegentlich stecken wir die Nase raus um Luft zu schnappen und  sicherzugehen, dass hier niemand anders unterwegs ist. Ab und zu regnet es, merkwürdigerweise ist es eher Sprühregen, kein kräftiger Schauer.
Am neunten Tag, mittlerweile haben wir den dritten Oktober, nimmt der Wind ab, wir nehmen ein Reff aus dem Groß und sind weiter flott unterwegs. Noch immer gibt es diese Sprühschauer, aber dazwischen ist es nett.
Der nächste Tag erwartet uns mit schönstem Segelwetter: Sonne, blauer Himmel, der Ozean leuchtet in seinem schönsten Blau. Der Wind hat weiter nachgelassen, Zeit weiter auszureffen. Gerade sind wir mit dem Manöver fertig, erleben wir so einen wunderbaren Moment, der alle mühsamen, unbequemen, respekteinflößenden Segelstunden und -tage wegwischt. Eine Gruppe von Walen hat uns entdeckt und kommt neugierig näher. Es sind wohl etwa 15 Tiere, die größten vielleicht sieben oder acht Meter lang. Sie kommen ganz dicht ans Boot und schauen uns an. Dann schwimmen sechs Tiere nebeneinander direkt unter unserem Heck und drehen ihren Bauch nach oben. Ein unglaublicher Augenblick. Deutlich können wir die Pfeiflaute hören, mit denen sie sich verständigen. Immer wieder kommen die Tiere ganz dicht vorbei, bevor sie Kurs ändern und in der blauen Weite des Ozeans verschwinden.

Der Wind nimmt weiter ab und die Segel beginnen zuschlagen. Wir suchen einen Kurs und eine Segelstellung, bei der nicht ständig unser Rigg geschüttelt wird. Nach wenigen Stunden ist das schöne Wetter vorbei. Aus allen Richtungen ziehen große Wolken auf. Es ist verrückt,  es sieht aus als würden sich hier alle Wolken tummeln, die der Wettergott gerade nirgends unterbringen konnte. Die Wolken haben keinen Wind im Gepäck. Es bleibt schwachwindig und die zweite Hälfte der Nacht ist sternenklar.

Tag 11 unserer Überfahrt beginnt mit einem schönen Sonnenaufgang, das erste Mal auf dieser Etappe wird die Sonne nicht von großen Wolken versteckt.
Da wir weit südlich unserer Kurslinie stehen und mit dem schwachen Ostwind und der konfusen Dünung unseren Westsüdwest-Kurs nicht halten können, halsen wir. Gelegentlich schwächelt der Wind, dann fällt Mari in ein Loch und die Segel schlagen. Aber das Wetter ist wunderbar. Blauer Himmel und Sonnenschein, Zeit das Bimini wieder aufzubauen. Segeln kann so entspannend sein!

Das Tief nördlich von uns füllt sich nur langsam auf. Wir stellen fest, dass es einen Namen bekommen hat: „Ancha“. Quasi ein erster potentieller Zyklon der Saison. Das braucht man nun wirklich nicht. Es hat aber nur noch 25 kn Wind in seinem Zentrum und tut uns nichts. Südlich von uns kocht die Wetterküche und wird uns in den nächsten Tagen wohl eine hohe Welle schicken. Das hört sich ungemütlich an. Ein Grund mehr das schöne Wetter und die angenehmen Bedingungen zu genießen. Und Gelegenheit uns ein wenig zu pflegen. Ich habe nur einige blaue Flecken. Nobbis linker Arm schmerzt seit einem etwas verunglückten Dinghi-Anlegemanöver in Belitung und war gerade etwas besser geworden, als er in Cocos wieder bei einem Dinghimanöver an unserer Bordwand in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das ewige Festhalten, sich Abstützen und die Reffmanöver dienten nicht der Schonung. Aber sein blaues Auge ist kaum noch zu sehen. Er ist von einer großen Welle durch die Kabine katapultiert worden, hat sich mit dem schmerzenden Arm am Küchenblock abgefangen und ist mit dem Kopf am Fensterverschluss aufgekommen.

Seit über einer Woche haben wir kein Schiff gesehen und jetzt treffen wir hier 1400 Meilen von Cocos entfernt eine Yacht, die einen Tag nach uns losgefahren ist. Das ist lustig und extrem unwahrscheinlich. Wir plaudern ein wenig über Funk mit der Crew der Skyfall, kurz darauf sehen wir einander nicht mehr.
Eine wunderschöne Segelnacht verwöhnt uns.  Wir wecken einander nun wieder mit Informationen zu Sternenbilder. „Ori (Bordslang für Orion) wartet schon auf dich, Venus und Mond sind nicht mehr zusehen, Jupiter steht nahe des Aldebaran“.