Acht Tage steile Wellen und raues Segeln

Es ist kurz vor Mitternacht. Wir segeln bei wenig Wind und kaum Welle entlang der Nordküste Timors. Der Mond ist noch nicht aufgegangen, der Sternenhimmel wunderschön klar, keine einzige Wolke zeigt sich. An Land sehe ich weit entfernt einige Lichter von Häusern, Straßenlaternen und gelegentlich die Scheinwerfer eines Autos. Unsere Bugwelle funkelt mit dem Sternenhimmel um die Wette, Millionen von Meeresbewohnern fluoreszieren. Auch die Delfine, die mich seit einer halben Stunde begleiten, ziehen einen glitzernden Schweif hinter sich her. Diese Momente sind es, die dabei helfen die weniger schönen und anstrengenden Teile der Überfahrt bald zu verdrängen.
Am Freitag, 4. August verlassen wir Australien und starten vormittags als der Strom kentert. Flott geht es an Thursday Island vorbei, in der Enge danach schiebt der Strom kurz mit bis zu sechs Knoten, ganz schön aufregend. Wir segeln entlang des Schifffahrtsweges. Das flache Wasser leuchtet milchig türkis, die Welle ist nicht hoch aber ruppig und wir haben mal wieder ordentlich Wind. Hier ist es wirklich unglaublich flach, nach 50 Seemeilen ist die Wassertiefe noch immer nur bei 20m. Am zweiten Tag sehen wir zwei Fischerboote, eines aus Saudi-Arabien und eines aus Aserbaidschan im australischen Seeraum. Wir können sie und ihre Netze, die mit Bojen markiert sind und ein eigenes AIS Signal aussenden (und bei uns auf dem Bildschirm auftauchen), gut umfahren.
Hier ist deutlich mehr Schiffsverkehr als in den Weiten des Pazifiks, wir sehen jeden Tag mehrere große Schiffe. Containerschiffe, Tanker, Bulkcarrier. Die Begegnungen sind ausgesprochen friedlich, ihre Kurse sind leicht auszumachen und sie führen identifizierbare Lichter. Wir achten darauf, dass wir geradeaus segeln und keine Verwirrung stiften. Mehrere Schiffe, die uns sonst etwas nahe gekommen wären, ändern den Kurs um ein paar Grad ohne dass wir darum bitten müssen. So soll es sein.
Am Abend des sechsten Tages verlassen wir die ausschließliche Wirtschaftszone Australiens und segeln gleichzeitig über die 200m Tiefenlinie, jetzt fällt die Wassertiefe auf 500m. Eigentlich für uns völlig uninteressant, aber der sogenannte Kontinentalschelf ist für die Unterwasserwelt extrem attraktiv. Wir merken es daran, dass wir plötzlich zick-zack zwischen den Fischern segeln müssen. 20 Schiffe und mehr sehen wir gleichzeitig, dazwischen unzählige Bojen. Die Beleuchtung ist kreativ. Vorne rot hinten grün, sieben weiße, ein blaues Licht. Die wenigsten der Fischer haben AIS, obwohl es sich um große Schiffe handelt. Die Bojen senden grün-blaue Blitze, rotes Funkeln oder weißes Glimmen. Es ist schwierig den Überblick zu behalten, welche Boje gehört zu welchem Schiff? Das Ganze wäre nicht so anstrengend, wenn wir nicht sechs bis sieben Windstärken hätten, in den Böen auch mal acht. Und dann beginnen die Schauer. Der starke Regen drückt die Wellen platt, aber beschränkt auch die Sicht. Zu zweit versuchen wir uns frei zu segeln. Einmal nehmen wir die Maschine zur Hilfe, ein Fischer leuchtet uns an, wir müssen gegen den Wind abhauen. In dieser Nacht schlafen wir wenig. Nach ein paar Stunden ist der Spuk vorbei, wir sehen noch einige Fischer aus sicherem Abstand und müssen am nächsten Morgen noch ein entschlossenes Ausweichmanöver fahren, das AIS-Signal einer Netz-Boje taucht plötzlich dicht vor uns auf. Die Sonne trocknet die nassen Sachen der Nacht und wir holen etwas Schlaf nach. Danach hatten wir zum Glück keine Begegnungen mit Fischern mehr. Wir vermuten, dass das Meer inzwischen zu tief ist, um als Fischgrund attraktiv zu sein.
Immer wieder notieren wir im Logbuch, dass die Welle ungemütlich ist. Irgendwie verkeilen, lesen, ein Hörbuch hören und durchhalten. Mehr passiert nicht. Kochen und Abwaschen sind Hochleistungssport. Das Duschmanöver will sorgfältig geplant werden. Nobbi behauptet er löst Kreuzworträtsel. „2m waagerecht“ bedeutet: er geht in die Koje, der beste Platz an Bord. Wir können uns nicht erinnern schon mal eine Woche im zweiten Reff gesegelt zu sein. Einen windigen Start der Überfahrt hatten wir erwartet, aber gehofft, dass der Wind nach einigen Tagen abnimmt. Ein Blick auf die Wettervorhersage zeigt heute, dass jetzt ein toller Zeitpunkt für die Passage wäre, tagelang handiger Wind. Aber jetzt sind wir schon hier.
Nobbi hat während einer Nachtwache einen Passagier. Ein Tölpel versucht achtern auf dem Bimini zu landen und wird von der Windsteuerfahne ins Cockpit katapultiert. Der arme Vogel landet unsanft auf dem Cockpitboden. Nach einiger Zeit berappelt er sich und hüpft auf die Bank, als er sein Lager im Schwalbennest aufschlagen möchte, lässt er sich von Nobbi nicht nur anfassen, sondern sogar hochheben. Schließlich fliegt er davon und kann seinen Tölpel-Freunden jetzt eine tolle Geschichte erzählen.
Wie auf jeder Passage freuen wir uns über tolle Sonnenauf- und -untergänge, die fantastischen Farben der Meeres von hellgrün bis dunkelblau, den Sternenhimmel, magische Mondaufgänge, sehr viele Sternschnuppen, Seevögel und über die Ruhe und Freiheit auf See.
Schließlich sehen wir nachts den ersten indonesischen Leuchtturm und erreichen eine Woche nach Verlassen Thursday Islands die Nord-Ost-Ecke Timors. Die zu Beginn beschriebene traumhafte Nacht lässt uns die Strapazen vergessen. Irgendwann schläft der Wind ein und wir motoren durch die ruhige Nacht. Der Sonnenaufgang ist besonders schön und wird durch einen sehr großen Wal der parallel zu uns schwimmt gekrönt.
Die letzten Meilen nach Dili, der Hauptstadt Timor-Lestes ziehen sich, als wollte Neptun uns daran erinnern „man ist erst da, wenn man da ist“. Wir haben entgegen unserer Erwartung starken Gegenstrom und kommen nur langsam voran, obwohl der Ostwind inzwischen zurückgekommen ist und uns kräftig schiebt. In der letzten Stunde haben wir so grausamen Seegang, dass wir uns mit beiden Händen festklammern müssen.
Schließlich haben wir es geschafft. Nach acht Tagen und sechs Stunden laufen wir in den kleinen Hafen von Dili ein. Wir suchen uns einen Ankerplatz, sind sehr froh angekommen zu sein und sehr gespannt auf ein neues, fremdes Land. Musik weht zu uns herüber, bei der Unidade Policia Maritima wird Karate trainiert, viele Motorroller drängeln sich auf der Straße am Hafen. Wir sitzen im Cockpit und beobachten das Leben an Land durchs Fernglas. Müde fallen wir in die Koje. Der Schwell läuft bei Flut übers schützende Riff und Mari schaukelt heftig, aber uns ist das egal und wir schlafen herrlich eine ganze Nacht durch.