Pentecost – Naghol oder Landdiving

Das Landdiving oder Naghol gehört wohl zu den international bekanntesten Bildern von Vanuatu. Junge Männer, die mit Lianen an den Fußgelenken von einem hölzernen Turm springen. Der Vorläufer des Bungeejumpings. Hier, im Süden der Insel Pentecost, findet jährlich dieses Ritual statt, das der Demonstration der Männlichkeit, der Bitte um eine gute Yams-Ernte, dem Aufrechterhalten alter Traditionen und heute auch dem Ankurbeln des Tourismus gilt. Von April bis Juni wird samstags gesprungen. Aus logistischen Gründen gibt es jetzt einen Sprungplatz in der Nähe des Flughafens, den anderen Turm haben wir bereits von unserem Ankerplatz mit dem Fernglas entdeckt.
Wir haben uns bereits in Port Vila erkundigt, da wir etwas widersprüchliche Angaben finden. Die Dame im Tourismusbüro schreibt uns die Bucht auf, in der wir ankern sollen, und versorgt uns mit Telefonnummern und Emailadressen.
Als wir die Bucht an Pentecosts Westküste erreichen sind wir erstaunt, wir hatten mit weiteren Yachten gerechnet und finden eine leere Bucht vor. Insgesamt sind so früh in der Saison aber auch erst wenige Boote in Vanuatu unterwegs, soweit wir das einschätzen können.
Ich schreibe eine E-Mail an den Spokesman des Dorfes, dass wir gerne das Naghol sehen möchten. Schnell trifft eine Antwort ein und bald darauf sitzt Bartholomew in unserem Cockpit, er hat sich von einem jungen Mann mit dem Kanu vorbei paddeln lassen. Wir erzählen, dass noch ein weiteres Boot ankommen wird (wir haben uns in Port Vila kennengelernt und sind in Kontakt geblieben) und wir zu viert dabei sein wollen. Wenig später treffen Alison und Andy mit ihrer „Venture Lady“ ein und Bartholomew besucht auch sie an Bord. Es gibt etwas Verwirrung wann es am nächsten Morgen losgehen soll, daher werden wir zur Beratung ins Nakamal, das Versammlungshaus des Dorfes gebeten. Für uns und die Kinder gleichermaßen interessant.

Am nächsten Morgen treffen wir uns um acht am Strand. Von hier geht es auf der Ladefläche eines Pick-ups nach Ratap, das oberhalb gelegene Dorf. Mit uns reisen noch eine Handvoll Leute, darunter zwei Mädchen, die zuerst schüchtern sind. Die Kleine neben mir nimmt dann aber Körperkontakt auf und kuschelt sich an mich. Im Dorf angekommen, warten wir zunächst auf die anderen Touristen, die mit dem Flieger ankommen sollen. Wir dachten, es gäbe viel mehr Zuschauer, tatsächlich ist das ganze Dorf jedoch für acht Besucher auf den Beinen.
Die Wartezeit macht Spaß, wir lernen den Chief kennen und schütteln viele Hände. Das kleine Guesthouse, in dem man übernachten kann sollen wir besichtigen, wir sehen uns die Kavapflanzen mitten im Dorf an und neben dem Kassenhäuschen hängt eine Schlange auf einem Baum. Und wir haben Gelegenheit uns den Turm in Ruhe anzusehen. Ein toter Baum bildet die Basis, um die der Turm gebaut wurde. Das ist Männersache, Frauen dürfen beim Bau nicht beteiligt sein und dürfen auch nicht auf den Turm klettern. Zu den Seiten ist der Turm mit Lianen abgespannt. In jedem Jahr wird ein neuer Turm aufgebaut, dieses Jahr ist er fast zwanzig Meter hoch. Natürlich muss ich ein Foto „Mari und der Naghol-Turm“ machen, auch wenn Mari da unten in der Bucht doch sehr klein ist, gehört das zu den ganz besonderen Bootsportraits.

Um acht geht’s am Strand los
Der Turm – 20 m hoch
Der Lianen-Spleiß

Eine Sage zum Naghol erzählt von einem Paar, dass sich streitet, die Frau läuft schließlich von ihrem Mann weg und er verfolgt sie. Sie klettert auf einen Banyan-Baum und als ihr Mann ihr nachfolgt springt sie in die Tiefe. Er nimmt an, dass sie in den Tod gestürzt ist, möchte nicht ohne sie leben und springt hinterher. Der Mann stirbt, die Frau jedoch überlebt, weil sie sich Lianen an die Knöchel gebunden hat. Ursprünglich sollen Frauen gesprungen sein, irgendwann haben das dann die Männer übernommen, auch weil sie sich nicht von den Frauen austricksen lassen wollen.

So lustig kann es sein Fotos anzugucken!

Die Aufregung der Dorfbewohner als der Truck mit den vier anderen Besuchern naht, ist rührend. Es folgt eine offizielle Begrüßung mit Blumenkränzen. Die Männer bekommen außerdem eine Tasche umgehängt, darin sollen sie Geschenke mitbringen wenn sie das nächste Mal wieder kommen. Außerdem werden wir gebeten, allen Menschen die wir kennen vom Dorf Ratap und dem Naghol zu erzählen und dafür Werbung zu machen. Das tun wir sehr gerne!

Dann gibt es für jeden eine Trinknuss und das eigentliche Ritual beginnt.
Sechs Jungen und Männer springen heute. Der Jüngste, der den Sprung aus geringster Höhe macht, beginnt, der erfahrenste Springer ist als letztes dran. Die anderen Dorfbewohner singen und tanzen zur Unterstützung, auf der einen Seite die Männer, auf der anderen Seite die Frauen. Alle tragen traditionelle Kleidung, wobei Kleidung insbesondere für die Männer ein irreführender Begriff ist. Penisköcher ist wohl das richtige Wort für diese minimale Art der Bekleidung. Die Jungs tragen ein Blatt, das in ein Band eingesteckt wird, das um die Taille geschlungen ist. Die Männer tragen ein Futteral aus Stoff, das in einen Ledergurt eingeschoben wird. Die Frauen haben eine Art „Bastrock“ an und dazu eine Kette aus Grünpflanzen um den Hals. Die Selbstverständlichkeit, der Stolz und die Lässigkeit mit der die wenige Kleidung würdevoll getragen wird, gefallen uns.
Zurück zum Sprung. Einige Männer lockern den Boden in der Landezone immer wieder auf. Die vorbereiteten Lianen werden sortiert. Die ausgewählten Lianen wurden am Tag zuvor geschnitten, die Enden werden zerfasert, um sie an die Knöchel zu knoten. Diese Enden sind mit Bananenblättern umwickelt. Der Springer steigt auf den Turm und klettert auf seine Absprungvorrichtung, andere Männer helfen nun die Blätter zu entfernen und die Lianen zu befestigen. Sorgfältig wird kontrolliert, dass die Lianen sich nicht am Turm verhaken, der Chief überwacht das Ganze vom Boden aus.
Schließlich steht der Springer auf seinem Absprungplatz, er wird laut angefeuert, reckt die Hände in den Himmel, biegt sich nach hinten, verschränkt die Hände vor der Brust und springt.
Sofort nach dem der Springer auf der Erde aufgekommen ist, wird er von anderen Männern aufgerichtet, die Lianen werden von den Fußgelenken geschnitten und er wird vom Ladeplatz geleitet. Die Lianen sind zwar flexibel und auch der Absprungplatz gibt nach, trotzdem sieht es gefährlich aus und ist es auch. Die Lianen enden nur einen halben Meter über dem abfallenden Landeplatz. Der Springer kommt also immer auf der Erde auf.
Die Springer sind stolz, wenn sie es geschafft haben. Die erfahrenen Männer in der Landezone loben die Sprünge. Die Springer werden hoch angesehen in ihrer Dorfgemeinschaft.
Das Ganze wiederholt sich bei jedem Sprung, immer höher klettern die Männer auf den Turm und tatsächlich springt der letzte ganz besonders elegant. Diesen letzten Sprung gucke ich mir einfach nur an, ich will ihn voll und ganz genießen, kein Video, kein Foto, einfach ganz direkt auf die interne Festplatte für besondere Erinnerungen.

Vor jedem Sprung wird die Erde aufgelockert.
Er betritt seine Absprungvorrichtung.
Die erfahrenen Männer passen auf, dass die Lianen nicht verschlungen sind.
Die Männer auf halber Höhe halten die Lianen frei.
Ein Junger Springer auf dem Turm
Der Springer reckt die Armen in den Himmel
Der entschlossene Absprung
Er springt!
Im Sprung!
Der Sprung!
Der Springer wird in Empfang genommen.
Sie richten den Springer auf.
Die Liane wird vom Fuß geschnitten.
Ob er in den nächsten Jahren auch springen wird?

Hinterher gibt es ein traditionelles Mittagessen Laplap aus Yams und Taro mit Süßwasserkrabben. Laplap ist das Nationalgericht Vanuatus. Taro oder Maniok werden geraspelt und die Gemüsemasse wird in einem Bananenblatt im Ofen gegart. Das Laplap kann auch aus Kochbananen oder Brotfrucht sein. Hier gab es zwei Versionen aus Taro und aus Yams.
Voller toller neuer Eindrücke machen wir uns auf den Rückweg. Wieder sitzen wir auf der Ladefläche und wieder ist die Geschwindigkeit in Anbetracht der Straßenverhältnisse ganz schön sportlich. Wohlbehalten und müde erreichen wir den Strand an dem unser Dinghi wartet.

Das Naghol sehen zu können, hat uns sehr gefreut. Wir hatten gehofft, dass es klappt, aber manches Mal spielen Wind und Wetter bei Seglerplänen einfach nicht mit. Die Freude und Neugier der Dorfbewohner, die Natürlichkeit mit der sie ihre Traditionen präsentieren, das ergreifende Ritual, das zu touristisches Zwecken durchgeführt wird, aber kein professionelles Tourismus-Event ist, hat uns viel Spaß gemacht und uns berührt.
Sehr gerne kommen wir der Bitte nach für einen Besuch in Ratap zu werben, uns hat es sehr gefallen!

Und hier das ganze in Bewegung